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LSG Thüringen: Nach Erteilung der Restschuldbefreiung ist eine Aufrechnung / Verrechnung nach §§ 51, 52 SGB I grundsätzlich nicht mehr möglich

Thüringer Landessozialgericht, 08.06.2021, L 12 R 331/18. Aus der Entscheidung:

„(Rn. 34): Im Zeitpunkt des Erlasses des vorliegend angefochtenen Verrechnungsbescheids vom 9. Juni 2015 fehlte es an einer Verrechnungslage analog § 387 BGB. Infolge der mit Beschluss des AG G. vom 10. Oktober 2012 – 8 IN 517/017 erteilten Restschuldbefreiung hat sich die Beitragsforderung der Beigeladenen in eine Naturalobligation, d. h. in eine unvollkommene Verbindlichkeit umgewandelt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 – B 12 KR 19/14 R und BSG, Urteil vom 14. März 2013 – B 13 R 5/11 R). Die Forderung ist weiterhin erfüllbar, eine Erfüllung kann aber nicht erzwungen werden bzw. rechtlich durchgesetzt werden. Eine unvollkommene Verbindlichkeit ist tauglicher Rechtsgrund, die Erfüllung einer Forderung zu behalten, sie ist aber nicht geeignet Erfüllung verlangen zu können. Eine solche Verbindlichkeit begründet keine Verrechnungslage analog § 387 BGB. Ob die Restschuldbefreiung von Amts wegen oder nur auf Einrede – wie bei der Verjährung – zu beachten ist, kann vorliegend dahinstehen. Der Kläger hat schon im Anhörungsverfahren darauf hingewiesen, dass die erteilte Restschuldbefreiung einer Verrechnung entgegenstehe.(…)

(Rn. 36:) Von der Restschuldbefreiung erfasst werden neben privatrechtlichen Ansprüchen öffentlich-rechtliche Ansprüche, wie Steuerforderungen, öffentliche Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträge. Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO alle persönlichen Gläubiger des Schuldners, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Unter welchen Voraussetzungen der Vermögensanspruch i.S.d. § 38 InsO begründet ist, richtet sich nach den Regelungen des Insolvenzrechts. Auf der Grundlage des einschlägigen öffentlichen Rechts ist nur zu beantworten, ob bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens diese Voraussetzungen erfüllt waren. Begründet ist ein Anspruch nicht erst dann, wenn er bereits entstanden oder fällig ist bzw. durch Bescheid festgestellt wird. Allgemein gilt, dass ein Anspruch begründet ist, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt, d.h. der Rechtsgrund der Entstehung bereits gelegt war, selbst wenn sich eine Forderung hieraus erst nach Verfahrenseröffnung ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2016 – VI ZR 283/15). (…)

(Rn. 41:) Aus den oben genannten Privilegierungen [gemeint: §§ 51, 52 SGB I] folgt für den Senat aber nicht, dass die Gegenforderung (hier: Beitragsansprüche und Säumniszuschläge der Beigeladenen) nicht an der Wirkung der Restschuldbefreiung teilnimmt und eine Verrechnung/Aufrechnung mit Forderungen im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I weiterhin möglich ist (so aber: Bayer. LSG, Urteil vom 21. März 2018 – L 13 R 25/17). Auch diese wandelt sich in eine unvollkommene Verbindlichkeit („Naturalobligation“) um. Nach § 300 Abs. 1 InsO wirkt die Restschuldbefreiung gegen alle Insolvenzgläubiger. Die § 51, 52 SGB I modifizieren diesen Grundsatz – jedenfalls dem Wortlaut nach – nicht. Im Gegenteil folgt aus einem Umkehrschluss des § 302 InsO, das auch die in § 51 Abs. 2 SGB I genannten Forderungen von der Wirkung erfasst werden. In dem Katalog des § 302 InsO (ausgenommene Forderungen) werden die eben genannten Forderungen nicht genannt. Der Katalog ist nach der Ansicht des Senats abschließend und nicht erweiterungsfähig („enumeratio ergo limitatio“).“

Zur Entscheidung auch Cymutta, VIA 2022, 7

Siehe auch RA Henning zu LSG NRW und der Aufrechnung von Sozialleistungsträgern in Inso-Verfahren und LSG München bejaht Verrechnung mit einer Beitragsforderung nach erteilter Restschuldbefreiung