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Lösungsvorschlag

Update 1.6.2021: das BSG hat die Revision gegen die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg verworfen


Der Fall (https://www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de/?p=17538) ist LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.6.2020, L 8 AL 3185/19 nachgebildet.

Bei der Forderungen der BA Arbeit handelt es sich um Rückforderungen nach dem SGB III i.V.m. § 50 SGB X. Interessant ist der Fall deshalb, weil es zwei gesetzliche Regelungen gibt, die in einem Spannungsverhältnis stehen:

§ 50 SGB X: Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen

  • (4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

§ 52 SGB X: Hemmung der Verjährung durch Verwaltungsakt

  • (1) Ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, hemmt die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.
    (2) Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Absatzes 1 unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre.

Was also gilt: § 50 oder § 52 SGB X?

Das LSG hat dazu entschieden:

  1. § 50 Abs. 4 SGB X trifft eine Sonderregelung für die Verjährung des durch Verwaltungsakt festgesetzten Erstattungsanspruchs im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB X, die der Verjährungsregelung in § 52 Abs. 2 SGB X vorgeht.
  2. [Nur wenn] zugleich mit der Festsetzung der Erstattungsforderung oder später zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Erstattungsanspruchs ergehen, greift aufgrund der Verweisung in § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X die 30-jährige Verjährungsfrist in § 52 Abs. 2 SGB X.
  3. Weder eine Fristsetzung zur Zahlung noch eine Mahnung besitzen Verwaltungsaktcharakter und stellen damit von vornherein keine Maßnahmen im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X zur Durchsetzung festgesetzter Erstattungsansprüche dar.

Konkret bedeutet das für den Fall:

Der Bescheid vom 19.08.2011 wurde noch in 2011 bestandskräftig und ist daher nach § 50 Abs. 4 SGB X mit Ablauf des 31.12.2015 verjährt.

§ 52 SGB X ändert dies nicht! Das LSG führt aus: „Für einen Vorrang von § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X spricht zum einen, dass es sich nach Systematik, aber auch nach dem Wortlaut, um die speziellere Vorschrift handelt. Zum anderen verbliebe bei einem anderen Verständnis die Regelung in § 50 Abs. 4 SGB X ohne jeden Anwendungsbereich, da ein Erstattungsbescheid im Sinne des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X zugleich auch die Voraussetzung des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X erfüllt und somit die 4-jährige Verjährungsfrist nie zur Anwendung kommen würde.“

Folge – so auch das LSG: „Erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Anspruchs ergehen, unterfallen diese aufgrund der Verweisung in § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X der 30-jährigen Verjährungsfrist in § 52 Abs. 2 SGB X.“

Ist die Mahnung vom 14.11.2011 ein solcher, die 30jährige Verjährung bewirkender Verwaltungsakt?

Nein! Denn – so das LSG: „Hierbei handelt es sich schon nicht um einen Verwaltungsakt. Verwaltungsaktcharakter kommt lediglich der mit der Mahnung üblicherweise (so auch hier) verbundenen Festsetzung der Mahngebühr, nicht aber der Mahnung selbst zu (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 54/10 R –, Beschluss vom 05.08.1997 – 11 BAr 95/97 –; Beschluss vom 07.06.1999 – B 7 AL 264/98 B –, alle in juris).“

Literatur dazu:

  • Andreas Rein, BAG-SB-Informationen 2020, 151 (Heft 4)
  • Udo Geiger, info also 2019, 201, info also 2020, 29 und info also 2020, 265

Die Entscheidung des LSG ist noch nicht rechtskräftig und liegt beim Bundessozialgericht, B 11 AL 5/20 R. Die Frage ist darüber hinaus sehr strittig; zum Beispiel widerspricht SG Reutlingen, 02.09.2020 – S 4 AS 1417/19 dem LSG.

Achtung: auch das LSG ist allerdings der Ansicht, dass die Aufrechnung oder die Verrechnung nach §§ 51, 52 SGB I die längere Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X bewirkt.

Für die Praxis:

Liegt lediglich ein vier Jahre oder älterer Erstattungsbescheid gem. § 50 SGB X vor, sollte die Einrede der Verjährung erhoben werden. Der Merksatz „Verwaltungsakt = Titel = 30-jährige Verjährung“ gilt – zumindest nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg – in diesen Fälle nicht.

Geiger weist in info also 2020, 29 darauf hin, dass an sich das BSG am 10. Dezember 2019 über diese Verjährungs-Frage entscheiden wollte (B 11 AL 5/19 R). Dann aber hat die BA durch Rücknahme der Berufung gegen das Urteil der Ausgangsinstanz (SG Speyer vom 7.12.2017 – S 10 AL 330/16) eine Entscheidung des BSG verhindert. Siehe auch LSG Rheinland-Pfalz vom 27.9.2018 – L 1 AL 88/17. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

Diese Seite wurde (zuletzt) aktualisiert am: 01.06.2021