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LG Berlin: Insolvenzverwalter kann auch dann nicht auf SGB II-Leistungen des Insolvenzschuldners zugreifen, wenn diese auf das Konto der Ehefrau des Schuldners gehen

Gelder, die auf das Konto eines Dritten gehen, sind fast immer rechtlich problematisch (fehlender Pfändungsschutz / Anfechung). Siehe etwa unsere Meldungen vom 12.03.2015, 13.10.2015, 20.10.2015, 27.10.2015, 7.10.2017 und 11.08.2018.

Wichtig ist daher die Entscheidung des LG Berlin, 08.04.2019 – 84 T 321/18.

Der Fall: Der Schuldner bildet zusammen mit seiner Verlobten eine Bedarfsgemeinschaft, der Leistungen nach dem SGB II bewilligt sind. Das Jobcenter leistet sämtliche Zahlungen auf das Konto der Verlobten; der Schuldner selbst verfügt nicht über ein Konto. Mit Schreiben vom 31. Januar 2018 forderte der Insolvenzverwalter die Verlobte auf, das auf den Schuldner entfallende Arbeitslosengeld II dem Insolvenzkonto zuzuführen. Der Schuldner beantragte am 15. Februar 2018 zu Protokoll der Geschäftsstelle, den Insolvenzverwalter anzuweisen, ihm die Zahlungen des Jobcenters zu belassen. Mit Schreiben vom 16. April 2018 beantragte er ergänzend, Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO für die auf dem Konto seiner Verlobten eingehenden Sozialleistungen zu gewähren oder diese Sozialleistungen entsprechend § 850k Abs. 2 Nr. 1b ZPO pfändungsfrei zu stellen.

Aus der Entscheidung des Landgerichts:

(Rz. 7:) Nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 4 InsO, 765a Abs. 1 ZPO kann dem Schuldner Vollstreckungsschutz gewährt werden, wenn andere Schutzvorschriften erschöpft sind oder nicht in Betracht kommen. Das ist hier der Fall. Die §§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, 850c, 850i ZPO sind nicht anwendbar, weil die Vollstreckung weder Arbeitseinkommen des Schuldners noch seine sonstigen Einkünfte im Sinne dieser Vorschriften betrifft. Der Pfändungsschutz nach §§ 54 Abs. 4 SGB I, 850ff. ZPO greift ebenfalls nicht ein, weil der Anspruch auf Auszahlung der auf das Konto eines Dritten gezahlten Sozialleistung selbst keine Sozialleistung ist. Die §§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, 850k ZPO sind nicht einschlägig, weil der Schuldner kein eigenes Pfändungsschutzkonto unterhält; eine entsprechende Anwendung der Vorschriften auf den Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen den Dritten kommt nicht in Betracht.

(Rz. 8:) Die Anwendung des § 765a ZPO ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Schuldner kein Pfändungsschutzkonto nach § 850k ZPO eingerichtet hat. Insbesondere ist das Verhalten des Schuldners nicht ohne weiteres dahin zu verstehen, dass er mit dem Verzicht auf ein Pfändungsschutzkonto zugleich auf jeden Pfändungsschutz und damit auch auf den Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO verzichtet habe. Vielmehr sind die §§ 765a, 850k ZPO grundsätzlich unabhängig voneinander anwendbar (…)

(Rz. 9:) Die Voraussetzungen des Vollstreckungsschutzes nach §§ 4 InsO, 765a Abs. 1 ZPO sind gegeben. Dem Schuldner ist zur Vermeidung einer unangemessenen Härte der Anspruch gegen seine Verlobte auf Auskehr des Arbeitslosengeldes II zu belassen, das für ihn auf ihr Konto eingezahlt wird. Der Schuldner hat mit der Anweisung an den Sozialleistungsträger, die auf ihn entfallenden Leistungen auf das Konto seiner Verlobten zu überweisen, keine Verfügung zugunsten eines außenstehenden Dritten getroffen. Der Zweck dieser Anweisung liegt nicht darin, Vermögen auf andere Personen zu verschieben oder vor dem Zugriff der Gläubiger in Sicherheit zu bringen. Sie hat vielmehr im Wesentlichen abwicklungstechnischen Charakter. Der Schuldner und seine Verlobte bilden eine sozialhilferechtliche Bedarfsgemeinschaft, für deren Vorstand nach § 38 Abs. 1 SGB II grundsätzlich die Vermutung der Vollmacht zum Empfang von Leistungen für die übrigen Mitglieder besteht. Dementsprechend macht der Sozialleistungsträger von der Möglichkeit Gebrauch, sämtliche der Bedarfsgemeinschaft zustehenden Sozialleistungen an die von ihr bevollmächtigte Verlobte des Schuldners zu zahlen. Diese Verfahrensweise dient der Vereinfachung der Verwaltungsabläufe, weil der Sozialverwaltung nur ein Ansprechpartner gegenübersteht, und ist deshalb vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünscht. Der Vollstreckungsschutz für den Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen seine Verlobte stellt sicher, dass die Sozialleistung dennoch an den Schuldner als den Empfänger gelangt, für den sie bestimmt ist.