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BGH zur Abführungspflicht eines selbständig tätigen Schuldners, von dem eine Erwerbstätigkeit nicht verlangt werden kann

Der BGH hat am 12.10.2023 unter dem Aktenzeichen IX ZR 162/22 eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Sie betrifft Konstellationen, die nicht täglich vorkommen, aber wenn doch, sollten diese Leitsätze bekannt sein:

  1. Übt der Schuldner eine vom Insolvenzverwalter freigegebene selbständige Tätigkeit tatsächlich aus, hat er die Gläubiger auch dann so zu stellen, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre, wenn er dem regulären Arbeitsmarkt wegen seines Alters, aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund besonderer berücksichtigungsfähiger Umstände nicht zur Verfügung steht oder stehen kann, sofern er aus der selbständigen Tätigkeit einen Gewinn erzielt.
  2. Bei der Festlegung der Höhe des sich nach dem fiktiven Nettoeinkommen zu bestimmenden Abführungsbetrags ist bei einem Schuldner, von dem wegen seines Alters, aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund besonderer berücksichtigungsfähiger Umstände eine Erwerbstätigkeit nicht verlangt werden kann, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Schuldner überobligatorisch selbständig tätig ist.

Rn 16: Für einen Schuldner, der dem regulären Arbeitsmarkt wegen seines Alters, aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund besonderer berücksichtigungsfähiger Umstände nicht zur Verfügung steht oder stehen kann, hat dies zur Folge, dass er nicht gegen die Erwerbsobliegenheit verstößt, wenn er keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und daher auch keine Zahlungen leisten kann. Übt der Schuldner aber gleichwohl eine selbständige Tätigkeit aus, ist er mithin überobligatorisch tätig, entspricht es der Zielrichtung des § 35 InsO, die Gläubiger an diesen Einkünften und Gewinnen teilhaben zu lassen. (…)

Rn 17: So hat der Senat bereits entschieden, dass ein Schuldner, der eine vom Insolvenzverwalter freigegebene selbständige Tätigkeit ausübt, zu Zahlungen an die Insolvenzmasse nach Maßgabe eines angemessenen abhängigen Dienstverhältnisses verpflichtet sein kann, auch wenn er bereits das Renteneintrittsalter erreicht hat und wegen seines Alters nicht mehr verpflichtet ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben (BGH, Beschluss vom 12. April 2018 – IX ZB 60/16, WM 2018, 1224 Rn. 11). Bei einem Schuldner, der aufgrund seines Gesundheitszustands keine abhängige Beschäftigung mehr finden kann, gilt nichts anderes als bei einem Schuldner, der aufgrund seines hohen Alters keine abhängige Beschäftigung mehr findet.

Rn 20: Bei der Festlegung der Höhe des sich nach dem fiktiven Nettoeinkommen zu bestimmenden Abführungsbetrags wird allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen sein, dass der Beklagte überobligatorisch tätig ist, weil von ihm aufgrund seiner Erkrankung eine Erwerbstätigkeit nicht verlangt werden kann. So hat der Senat im Fall eines aufgrund seines Alters überobligatorisch selbständig tätigen Schuldners bei der Festlegung des dem Schuldner nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO zu belassenden pfandfreien Betrags den Rechtsgedanken des § 850a Nr. 1 ZPO herangezogen. Der Schuldner kann auf diesem Weg dazu motiviert werden, eine überobligatorische Tätigkeit weiter auszuüben und zum eigenen und zum Wohl der Gläubiger Einkünfte zu erzielen. Müsste der Schuldner die Vergütung für die Mehrarbeit insgesamt an seine Gläubiger weiterleiten, hätte er keinen Anreiz eine Tätigkeit auszuüben, zu der er aufgrund seines Alters oder seiner Gesundheit nicht mehr verpflichtet wäre (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – IX ZB 87/13, WM 2014, 1432 Rn. 12 f; vom 6. April 2017 – IX ZB 40/16, WM 2017, 913 Rn. 16 ff; vgl. Grote, ZInsO 2004, 1105, 1111; Heyn, InsbürO 2014, 115, 120).