Kategorien
Uncategorized

BGH: Bestellung eines Vertreters in einem sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren ist gegen den freien Willen des betroffenen Verfahrensbeteiligten nicht möglich

Der BGH hat am 13.08.2025 unter dem Aktenzeichen XII ZB 285/25 als Leitsatz 2 beschlossen:

Für den Beteiligten eines sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, der infolge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung in diesem Verfahren nicht sachgerecht handeln kann, darf ohne dessen Einwilligung kein Vertreter nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 SGB X bestellt werden, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Vertreterbestellung über einen freien Willen verfügt.

Aus der Entscheidung: „Die Bestellung eines Vertreters in einem sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts gegen den freien Willen des betroffenen Verfahrensbeteiligten nicht möglich.

aa) Dies ergibt sich bereits aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes. § 15 Abs. 4 SGB X verweist ohne Einschränkungen auch auf die Vorschriften des materiellen Betreuungsrechts. Zu den damit in Bezug genommenen Bestimmungen gehört § 1814 Abs. 2 BGB (früher: § 1896 Abs. 1a BGB), wonach gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf (klarstellend Sternal/Göbel FamFG 21. Aufl. § 340 Rn. 6). (…)

Der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu „bessern“ oder daran zu hindern, sich selbst zu schädigen (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 – XII ZB 495/16FamRZ 2017, 1341 Rn. 11 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 15/2494 S. 28).

Unter der Voraussetzung eines freien Willens steht es vielmehr jedermann frei, staatliche Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2016 – XII ZB 95/16FamRZ 2016, 1068 Rn. 11 mwN). Wie der Senat zur Bestellung eines Betreuers bereits mehrfach ausgesprochen hat, muss die ablehnende Haltung eines zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen respektiert werden, auch wenn die Einrichtung einer Betreuung für ihn objektiv vorteilhaft gewesen wäre (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 – XII ZB 500/14FamRZ 2015, 2160 Rn. 18 und vom 22. Januar 2014 – XII ZB 632/12FamRZ 2014, 647 Rn. 10 mwN). In Bezug auf die Bestellung eines Vertreters im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren, für die kraft Gesetzes die Maßstäbe des materiellen Betreuungsrechts gelten, ist keine abweichende Beurteilung gerechtfertigt. (…)

Das Beschwerdegericht durfte es deshalb nicht unentschieden lassen, ob das fehlende Einverständnis des Betroffenen mit der Bestellung eines Vertreters auf einem freien Willen im Sinne von § 15 Abs. 4 SGB X iVm § 1814 Abs. 2 BGB beruht.“