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Bundesverfassungsgericht zur Pfändung des Auszahlungsanspruchs von schuldnerischem Guthaben auf Konto der Ehefrau

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2015, 1 BvR 163/15, zwei schuldnerfreundliche Entscheidungen des AG Winsen (24 C 1308/13) und des LG Lüneburg (5 S 48/14) aufgehoben.

Die strenge Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollte jede/r Schuldnerberater/in kennen. Die (hoffentlich ohnehin schon) dahingehende Beratung, dass die Nutzung von Konten Dritter zu vermeiden ist, erhält durch diese Entscheidung noch mehr Gewicht. Bleibt zu hoffen, dass das Recht auf ein Girokonto (→ vgl. Zahlungskontengesetz) wirklich bald kommt.

Sachverhalt:

Die Gläubigerin ließ zeitgleich pfänden:

  1. Lohn des Schuldners beim Arbeitgeber;
    der (unpfändbare) Rest ging sodann vereinbarungsgemäß auf das Konto der Ehefrau des Schuldners, der kein eigenes Konto besitzt
  2. „die auf dem Konto der Drittschuldnerin (= Ehefrau) eingehenden und für den Schuldner bestimmten Geldbeträge“
    (= Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen seine Ehefrau aus Auftrag: § 667 BGB; inhatlich: Lohnrest des Schuldners, s.o.).

Erstes Verfahren (→ Schuldner selbst):
Der Schuldner stellte einen Pfändungsschutzantrag (gemäß § 765a ZPO) gegen beide Pfändungen. Diesen wies das Landgericht Lüneburg (5. Zivilkammer) als Vollstreckungsgericht mit Beschluss vom 22. April 2013 (AZ: 5 T 2/13) rechtskräftig zurück.

Zweites Verfahren (→ Gläubigerin gegen Ehefrau):
Die Ehefrau (= Kontoinhaberin und „Drittschuldnerin“) zahlte trotzdem nichts an die Gläubigerin, die daraufhin die Ehefrau auf Auszahlung verklagte. Die Klage der Gläubigerin blieb sowohl vor dem AG Winsen als auch vor dem LG Lüneburg erfolglos.

AG Winsen: Der Einziehungsprozess verstoße gegen die guten Sitten und könne nach dem Rechtsgedanken des § 826 BGB nicht zum Erfolg führen.  Lasse ein Arbeitnehmer seinen Lohn in Ermangelung eines Pfändungsschutzkontos auf das Konto seiner Ehefrau einzahlen, stelle ein genau gezielter Zugriff auf diese Beträge eine unlautere Vollstreckungshandlung dar.

Das LG Lüneburg meinte: Entscheidend sei, dass nur Beträge des Schuldners auf das Konto der Beklagten (Ehefrau) gelangt seien, die als Arbeitseinkommen dem Pfändungsschutz nach § 850c ZPO unterlägen und bei Überweisung auf ein vom Schuldner geführtes Konto pfändungsfrei wären. Der Pfändungsschutz greife nur deshalb nicht ein, weil das Arbeitseinkommen des Schuldners auf ein sogenanntes Drittkonto überwiesen wurde, nämlich das Konto der Beklagten. Das Ausnutzen dieser besonderen Situation durch die Beschwerdeführerin stelle eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO dar.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Das BVerfG hat sich unmittelbar nur mit dem oben als „zweites Verfahren“ bezeichneten Rechtstreit befasst.

Es ist der Ansicht, dass die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung der Beklagten (Ehefrau) im Sinne des § 826 BGB durch die Beschwerdeführerin (Gläubigerin) „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar sei“.

Die Gläubigerin macht lediglich die ihr zustehenden Rechte aus einem wirksamen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Beklagte (Ehefrau) als Drittschuldnerin geltend.

Mit dem gegen die Beklagte gerichteten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (Anmerkung: also die oben unter Nr. 2 genannte Pfändung) wurde nicht das Arbeitseinkommen des Schuldners, sondern nur dessen Auszahlungsanspruch gemäß § 667 BGB gegenüber seiner Ehefrau gepfändet. Ohnehin sind die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO im Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und der Beklagten als Drittschuldnerin nicht einschlägig.

Seit dem 1. Januar 2012 wird Kontopfändungsschutz für den Schuldner – abgesehen von der Generalklausel des § 765a ZPO – durch ein Pfändungsschutzkonto gewährt. Diesem Schutz entzieht sich der Schuldner selbst, indem er es unterlässt, dafür Sorge zu tragen, dass die Zahlungen auf seinem Pfändungsschutzkonto eingehen, und er allein aufgrund des fehlenden Pfändungsschutzkontos den Fall einer besonderen Härte im Sinne des § 765a ZPO herbeizuführen sucht

Der Schuldner hat nach dem Willen des Gesetzgebers selbst für den Schutz seines Gehalts Sorge zu tragen, indem er alles dahin veranlasst, dass seine Zahlungen auf einem eigenen Pfändungsschutzkonto statt auf dem Konto eines Dritten eingehen. Kommt er dem nicht nach, so kann die Pfändung der betreffenden Beträge bei einem Dritten auch keine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB begründen.

Des Weiteren weist das BVerfG darauhin, dass nur der Schuldner selbst, nicht aber Dritte (hier: die Ehefrau) sich auf § 765a ZPO berufen können. Der Schuldner hatte dies zwar getan (siehe oben „erstes Verfahren“), war aber erfolglos geblieben.

ACHTUNG:

Die Entscheidung betrifft eine komplexe Verfahrenskonstellation („erstes / zweites Verfahren“). Das BVerfG hat sich unmittelbar nur mit dem Verfahren Gläubigerin gegen Ehefrau befasst. Letztere könne sich als „Dritte“ weder direkt noch analog auf die Schutzrechte des Schuldners berufen.

Interessant bleibt daher der Hinweis des BVerfG auf die Rechte des Schuldners selbst:

„Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs die Anwendung des § 765a ZPO in Betracht kommen, wenn sich der Schuldner Sozialleistungen auf das Konto eines Dritten überweisen lässt und der Gläubiger seinen Anspruch aus § 667 BGB pfändet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 – VII ZB 15/07 -, NJW 2007, S. 2703 <2704 Rn. 11 ff.>). Gleiches gilt entsprechend bei der Pfändung des Kontos eines Ehegatten hinsichtlich des unpfändbaren Teils des auf dieses Konto überwiesenen Arbeitseinkommens des nicht schuldenden Ehegatten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2008 – VII ZB 32/07 -, NJW 2008, S. 1678 Rn. 10 ff.). Bei § 765a ZPO handelt es sich aber um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Der Schuldner muss sich deshalb mit den Härten, die jede Zwangsvollstreckungsmaßnahme mit sich bringt, abfinden. Anzuwenden ist § 765a ZPO daher nur in ganz besonders gelagerten Fällen, nämlich dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2004 – IXa ZB 267/03 -, NJW 2004, S. 3635 <3636 m.w.N.>).“